Die Wogen gingen hoch, sowohl am Samstag wie auch am Sonntag. Wir haben die Samstags-Fakten in einem separaten Artikel aufgeführt (bitte anklicken).
Bis am Sonntag hatte sich die Lage entschärft. Es standen keine Hindernisrennen auf dem Programm und die Flachbahn war weiter bewässert worden, wodurch das Geläuf an einzelnen Stellen (z.B. eingangs Einlauf) sogar weich wurde. Die Rennleitung mass Penetrometer-Werte von 2.5 bis 4.0 (unregelmässig, Durchschnitt 3.35).
Es gab denn auch nur einen einzigen Galopp-Nichtstarter, dies war Glavalcour, der gemäss Andreas Schärer (in Vertretung von Kurt Schafflützel) wegen der grossen Hitze im Stall geblieben war.
Zu den Boden-Werten haben wir folgende Aussagen gesammelt:
Freunde werden sie wohl nicht mehr: Jean-Pierre Kratzer und Miro Weiss (Chr.Mettler)
Für viel Gesprächsstoff sorgte der Vorfall im Hürdenrennen, wo die noch drei verbliebenen Starter an der dritten Hürde eine böse - oder vielmehr (lebens-)gefährliche - Überraschung erlebten. Die beiden Füsse der Hürde (Absprung und Landung; die Hürden sind von beiden Seiten springbar) waren nicht runtergeklappt (siehe auch separaten Artikel) und überragten die Besen - enorm gefährlich für die Pferde und Reiter, die auf einer Hürdenbahn nur "wischbare" Hürden erwarten.
Zwei Reiter konnten ihre Pferde anhalten, Monticello sprang irgendwie darüber und überschlug sich.
Wie konnte so etwas passieren?
Schlichtes Vergessen vor der Rennbahn-Abnahme scheint nicht der Grund sein zu können. Denn sowohl die Rennleitung, Trainer und Reiter hatten die Bahn ja abgelaufen. Es hätte nach menschlichem Ermessen garantiert jemandem auffallen müssen, dass die Hürde nicht korrekt aufgestellt war. "Wir haben ja vor und nach jedem Sprung die Bodenwerte gemessen. Vor allem bei der Landung ist für die Pferde wichtig, dass es nicht zu hart ist", erklärte Peter Scotton, "da hätten wir das mit Garantie gesehen."
Der Wind schied als Übeltäter auch rasch aus (er blies am Samstag nur schwach und gleich beide Füsse hätte er ohnehin nicht "raufwinden" können). Schnell machte die Theorie die Runde, dass beim nachträglichen Bewässern mit dem Druckfass die Füsse rauf- und dann aber nicht wieder runtergeklappt worden waren. Durchaus denkbar.
Doch Jean-Pierre Kratzer, der am Samstag in Lyon (Défi du Galop) und nicht in Avenches weilte, wollte dies nicht gelten lassen: "Sowohl Bahnchef Jean-Marc Caillet wie auch seine Mitarbeiter haben mir versichert, dass alles mit der Hürde korrekt war. Und weil auch der Heilige Geist nicht schuld sein kann, müssen wir annehmen, dass es sich um Sabotage handeln könnte."
Eine Aussage von grosser Tragweite. "Es könnte ja sein, dass jemand aus Wut so gehandelt hat."
Paradox ist: Die Rennen werden zwar mit Kameras gefilmt, die auch zur Überwachung eingesetzt werden könten. Doch diese waren natürlich nicht aktiv, vor den Rennen. Unglaublich, wenn in Zukunft Bahnen zwischen Abnahme durch die Rennleitung und Rennbeginn noch überwacht werden müssten...
Was wirklich geschehen ist am Samstag 21.Juni 2008 vor dem ersten Rennen um 15 Uhr in Avenches werden wir wohl nie erfahren - es sei denn Dick Francis würde einen seiner Romanhelden mit der Lösung des Rätsels beauftragen.
Fakt ist, dass alle Beteiligten viel Glück hatten. Nicht auszudenken, wenn die Reiter das Malheur nicht rechtzeitig gesehen und abgebremst hätten. Das hätte Tote geben können. Dann wäre der Veranstalter mit dem Sabotage-Verdacht kaum darum herum gekommen, die Polizei für Abklärungen zu verständigen.
Für einigen Schrecken sorgte nach dem Galopp-Marathon der drittplazierte Collow. Beim Abspritzplatz bei den Stallungen brach der Appapays-Galopper plötzlich zusammen. In der Folge gab es einige Aufregung. Wir versuchen den Ablauf hier kurz zu skizzieren:
Um ca 15.19 Uhr galoppiert Collow als 3. durchs Ziel, galoppiert normal aus und kommt dann von der Bahn, wird wie gewohnt abgesattelt und zu den nahe gelegenen Stallungen geführt. Dort soll er geduscht werden. Doch er erleidet einen Kollaps und bleibt regungslos am Boden liegen.
Eine zufällig bei den Stallungen anwesende Tierärztin wird gerufen. Da sie aber nicht im Einsatz ist, hat sie auch kein Material dabei, um Collow zu unterstützen.
Aus dem Protokoll, welches Peter Scotton in seiner Funktion als Delegierter von Galopp Schweiz erstellt hat, geht folgendes hervor:
Um 15.31 (gemäss Handy-Verbindungsauszug) hat diese Tierärztin ihre Kollegin, die offiziell im Einsatz ist, um Hilfe gerufen. Diese ist bereits auf der Rennbahn, wo um 15.45 das nächste Trabrennen hätte gestartet werden sollen. Sie kann gemäss Scotton nicht auf dem direktesten weg zu den Stallungen fahren, sondern muss "aussen herum". Um 15.34 Uhr fragt die Tierärztin vor Ort nochmal nach, ihre Kollegin ist unterwegs.
Um ca 15.36 trifft sie bei Collow ein und mit Hilfe von einigen Helfern (u.a. auch Besitzer Sandro Gianella) kann der Patient wieder "aufgestellt" werden. Um 15.40 Uhr war Peter Scotton vor Ort.
Für Verwirrung sorgte die Tatsache, dass Collow per Los für eine Dopingprobe ausgewählt wurde. Gemäss einer nach dem GP Stadt Zürich 2008 publizierten Bestimmung im Rennkalender nach einem ähnlichen Fall mit Hedro in Dielsdorf geht (logischerweise!) die Behandlung des Pferdes vor.
"Dies hat der Dopinggehilfe zunächst nicht eingesehen", erklärte Sandro Gianella, der allen, die mitgeholfen haben einen grossen Dank ausspricht. "Collow bekam insgesamt 15 Liter Flüssigkeit intravenös. Nach zweieinhalb Stunden konnte er dann transportiert werden. Zu Hause hat er sofort gefressen."
Das sei alles Glück im Unglück gewesen. Nun gehe es darum, aus diesem Fall die Lehren zu ziehen. "Mit wenig Aufwand eine solche Situation massiv verbessern. Zum Beispiel mit einem Wasserschlauch beim Absattelring und einem Notfall-Kit bei den Stallungen. Dann könnte auch ein Tierarzt, der nicht offiziell im Einsatz ist, sofort helfen."
Ins gleiche Horn stösst Peter Scotton: "Ein Wasserschlauch beim Absattelring zum sofortigen Kühlen der Pferde wäre bei so grosser Hitze sehr hilfreich."
Jean-Pierre Kratzer erklärte am Donnerstag: "Es gibt ja Wasser und Schwamm bei der Waage."
Es gilt die Vorkommnisse differenziert zu betrachten. In allen Fällen gilt, dass unbedingt gemeinsam Lösungen gesucht und Verbesserungen umgesetzt werden müssen. Denn je mehr sich die Fronten verhärten, desto schlechter ist das für den Sport.
Ob Trainer ihre Pferde laufen lassen wollen oder nicht, ist ganz allein ihre Entscheidung (hoffentlich - in beiden Fällen! - mitgetragen von ihren Besitzern).
In Sachen Hindernisrennen im Sommer muss offenbar tatsächlich über die Bücher gegangen werden. Für den Schweizer Hindernissport wäre es indes sehr schade, wenn von Mitte Juni bis Mitte August lediglich im Ausland gelaufen werden könnte - und in Avenches gar (wie angekündigt) nur noch bis mitte März und dann wieder ab Mitte September (wenn dann ohnehin die grossen Hindernis-Meetings in Aarau und Maienfeld auf dem Programm stehen...).
Was die Bewässerung der Flachbahn betrifft, so sind sich die Beteiligten soweit (wohl) einig: Die Messwerte brauchen gar keine 4 vor dem Komma. Schön wäre eine regelmässige Bahn mit Werten um 3.0 bis 3.5 - schliesslich sollen ja auch die Pferde, die guten Boden brauchen, in "ihrer" Jahreszeit einmal perfekte Bedingungen vorfinden dürfen. Die Unregelmässigkeit ist ein Punkt, wo es noch Verbesserungspotential gibt. Wobei sich die Aktiven bewusst sind, dass dies je nach Wind- und anderen Verhältnissen nicht immer einfach zu bewerkstelligen ist.
In diesem Sinne hoffen wir auf eine positive Entwicklung auf der Bahn, auf welcher mehr als 50 % aller Schweizer Flachrennen durchgeführt werden.
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