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Russland-Reportage: Spannendes von Herbert Wohlgensinger über den russischen Galopprennsport

Freitag, 24. Juli 2009 09:30

Der Schweizer Ex-Handicapper Herbert Wohlgensinger war eine Woche in Russland zwecks Schulung der dortigen Handicapper.

Exklusiv für horseracing.ch-LeserInnen hat der ehemalige Rennreiter, "pensionierte" Handicapper und nun wieder als Pferdevermittler tätige Herbert Wohlgensinger seine Eindrücke aufgeschrieben und auch viele Fotos aus Russland mitgebracht. 

Tauchen Sie ein in eine für uns "West-Europäer" nach wie vor mehrheitlich unbekannte Welt... 

 

 

Von Moskau ging es per Flugzeug ca. 2.5 Stunden nach Pyatigorsk, eine grosse Stadt im Süden von Russland. Hier wurde die alte Rennbahn erneuert und es wurde eine Fibresandbahn errichtet, einmal herum 2000 Meter. Die Bahn ist sensationell und genügt auch internationalen Ansprüchen (siehe Fotos).


Die neue Trainings- und Rennbahn (links) in Pyatigorsk (Fotos Herbert Wohlgensinger)

Auf der Innenbahn ist die Trainingssandpiste, auf der Rennbahn darf einmal wöchentlich schnell gegangen werden. Hier sind 600 Pferde stationiert: ca. 450 Vollblüter, der Rest Araber und Halbblüter.

Jede Rennbahn wird ihren eigenen Handicapper haben, denn die Distanzen in Russland sind riesig (total 6 Handicapper, je drei Frauen und drei Männer – einer ist Chef-Handicapper in Moskau). Ich erlebte einen Renntag in Pyatigorsk mit 13 Rennen, 6 davon für Vollblüter (drei für Zweijährige mit 7 bis 11 Startern). Von April bis Ende Oktober werden 26 Renntage durchgeführt. Auf der Bahn ist ein Buchmacher stationiert. Equidia, Racing UK und „at the races“ sind zu sehen. Als nächstes soll die ca. 60-jährige Tribüne erneuert werden, aber die Finanzkrise hat auch vor Russland keinen Halt gemacht.

An dieser Stelle noch etwas zu den Preisen in Russland: Ein Laptop, welches bei uns ca 1000 Franken kosten würde, ist hier für 230 Franken zu haben. Ein Liter Benzin ca. 0.70 CHF, ein essen mit allem drum und dran (Wein usw.) CHF 30, 0.5 Liter Bier CHF 3.- Die Russen haben mich verwöhnt mit den besten Hotels und haben mir sogar einen eigenen Chauffeur zur Verfügung gestellt. In den Hotels gibt es ca. 15 russische TV-Sender, daneben aber auch CNN, BBC News und Eurosport.

Zurück zum Renntag in Pyatigorsk. Ein griechisch-russischer Besitzer hat die neue Rennbahn von Franzosen erstellen lassen. Jede halbe Stunde von 12:00 bis 18.30 fanden Rennen statt, dazwischen gab es Folklore-Showeinlagen mit Gesang usw. Mindestens 12 verschiedene Truppen zeigten sich, so wurde es einem nie langweilig. Vor dem Präsidenten-Cup (2000 Meter, total 22'000 EUR Preisgeld) kreisten die Pferde ca. 10 Minuten bei ohrenbetäubendem Lärm vor der Startmaschine bis die unmittelbar dort stattfindende Vorstellung zu Ende war. Unsere Pferde hätten ihr Rennen unter solchen Umständen schon vorher „gelaufen“, diese blieben cool, sie sind sich das anscheinend gewohnt.


Parade vor dem Rennen auf der Bahn


Folklore-Einlagen zwischen den Rennen gehören in Russland (hier Pyatigorsk) dazu

Überhaupt verhalten sich die russischen Rennpferde eher wie unsere Hunde. Bei der Siegerehrung des Cup-Siegers war das Pferd total umlagert und von den Leuten eingeschlossen, so dass es sich kaum bewegen konnte – es rührte kein Bein und genoss es…

Da der Präsident der Region auf der Bahn war, wimmelte es von Polizisten. Fast alle Minister besitzern Rennpferde, auch Ex-Präsident Putin hat Araber, die er geschenkt bekam, sie seien aber nicht gut auf der Bahn, wie ich erfahren habe.
Auf den Tischen der VIP-Tribünen standen übrigens Literflaschen Wodka „à discretion“.


Um diese Ehrenpreise wurde in Pyatigorsk gekämpft


Interessant ist, dass alle Reiter ihre Pferde bis ins Ziel ausreiten – keiner will Letzter werden! In einem Rennen betrug der Siegerpreis 2000 EUR, aber als Ehrenpreis gab es ein Auto im Wert von rund 15'000 EUR. Vor jedem Rennen gab es eine Parade. Obwohl es Anfang Saison war, erschienen mir die Pferde sehr Menschen-bezogen und eher auf der „fülligen Seite“. Leider brach sich ein Pferd das Hinterbein, aber eine Pferdeambulanz war nirgends zu sehen.

Wodka immer "ex" trinken - sonst gilt man schnell als unhöflich

Die Russen habe ich als ein sehr freundliches, fröhliches Volk kennengelernt (auch ohne Wodka…), obwohl es ihnen viel schlechter geht als uns, sind sie viel zufriedener als wir.
Ich habe so viele Einladungen erhalten, dass ich nochmals für 14 Tage gehen müsste. Ein Vodka-Produzent, der 10 Pferde in Russland und 20 in den USA im Training hat, füllte mir den Koffer mit Wodka, den ich gar nicht allen mitnehmen konnte.
Bekommt man ein Glas Wodka, gehört es in Russland zum Anstand, dieses auf „ex“ auszutrinken. Beim Mittagessen wurden mir gleich 3 „gespendet“ – die ich dann eben „ex“ trinken musste. Nur mit grosser Mühe konnte ich die „Spender“ bremsen, denn wir hatten nachher ja die Schulung…

Zur Trinkfestigkeit der Russen erzählte mir ein Ex-Jockey und Trainer, der jetzt für den Jockey Club arbeitet, die folgende Begebenheit: Er und drei andere Männer, einer davon ein Wodka-Trinker, gingen in Newmarket in ein Restaurant und wollten eine Flasche Wodka bestellen. Die Serviertochter sagte, das gehe nicht, es sei gegen das Gesetz, worauf sie jedem einen Fingerhut voll servierte. Der Wodka-Trinker schüttelte die 4 Wodka zusammen in ein Glas und trank „ex.“ Darauf wurden 16 Wodka (Fingerhut) bestellt und auf einem grossen Tablett serviert. Jeder schüttete 4 Portionen zusammen und wieder „ex“. Das ging so weiter, bis die 1.5 Liter-Flasche halb leer war. Da hatte die Serviertochter genug und stellte die Flasche auf den Tisch. Danach wurde noch kräftig Bier konsumiert. Die Engländer glaubten, dass die Russen nicht mehr aufstehen könnten – doch gefehlt, keiner habe beim Verlassen des Restaurants auch nur gewankt…!

Beim Rückflug von Pyatigorsk nach Moskau spendete mir dann der Ex-Minister einen Wodka. Mir wurde fast schlecht, es war nämlich ca 1 dl… Mit Todesverachtung habe ich ihn getrunken und dabei nichtmal viel verspürt.
Der Ex-Minister hat, obwohl er jetzt in der Privatwirtschaft arbeitet, noch immer seine Privilegien. Bei jedem Flug wird er mit einem Privatauto vom Flugzeug abgeholt, er muss nicht in den Buss wie das Fussvolk.

Ich erzählte den Russen, dass ich eigentlich auch ein halber Russe sei. Denn mein Gross-Gross-Grossvater lebte in Russland und hies Volgasinger. In der Schweiz angekommen, änderte man den Namen auf Wohlgensinger, denn man wollte nicht, dass die Leute wussten, dass man aus Russland kam. Nachdem ich dies erzählt hatte, herrschte grosse Begeisterung – Frauen und Männer küssten mich und ich war einer der Ihren.

 


Illustres Duo: Dr. Vita Kozlova, die Präsidentin des Russischen Pferdesport-Verbandes posiert mit dem aktuellen Champion-Jockey.

Korruption gibt es nach wie vor

Das Thema Korruption ist in Russland allgegenwärtig. Dazu folgende wahre Geschichte. Zwei Brüder eröffneten in Moska je einen Kleiderladen, unweit voneinender entfernt. Der eine führte keine Buchhaltung, hatte keine Kasse mit „Coupon“, es gab keine Rechnungen für die Einkäufe usw., er „wurstelte“ einfach drauf los. Die Leute von den Steuern knöpften ihm täglich 1000 Rubel (ca 33 Franken) ab und steckten diese in die eigene Tasche. Hätte er nicht bezahlt, hätte man ihm die Bude geschlossen. Der andere Bruder führte eine saubere Buchhaltung, es gab Kassenbelege, Rechnungen etc. wie es sich gehört, alles nach Vorschrift. Die Steuer-Leute knöpften ihm jedes mal, wenn sie in den Laden kamen, 5000 Rubel ab, weil angeblich ein Papier fehlte – was nicht stimmte – und steckten diese auch in den eigenen Sack. Das nächste Mal kamen Sie wieder, ales er das Papier beschafft hatte. Sie sagten, das sei nicht das richtige und büssten ihn mit 7500 Rubel.
Die Russen sagen, am besten fahre, wer nichts unternehme und einfach brav bezahle. Ganz nach dem Motto: Zahlen oder Geschäft schliessen! Das russische Steuergesetz sei so kompliziert, dass sogar die Profis überfordert seien.   Reiter, Trainer und Besitzer erwarten die Einführung der Handicap-Rennen ab 2010 sehnlichst. So gibt es nicht mehr so grosse Abstände (und das Wetten wird spannender...) 

 

Gosden-Gruppe-Crack fand sich auf der Moskauer Sandbahn nicht zurecht

Wie speziell die Verhältnisse auf Russlands tiefen Sandbahnen sind, erlebte am letzten Sonntag (19.Juli 2009) die Entourage des Gruppe-Cracks Bronze Cannon.

Mr. Kadyrow kaufte aus dem Stall von Trainer Gosden den im Besitz von A.Oppeneimer stehenden Bronze Cannon (GAG 99.5), welcher zuvor in Newmarket die Jockey Club Staks Gr. 2 und in Royal Ascot die Harwick Stakes Gr.2 gewann.
Das Pferd machte die weite Reise von Newmarket nach Moskau, um im President of the Russion Federation Cup 2400 m  (CHF 120'000) zu starten. Als heisser Favorit kam Bronce Cannon jedoch nur auf den 4. Platz, 3 Längen hinter dem Sieger Monamakh dem besten russischen Pferd, welches bis anhin nur eine Niederlage hinnehmen musste. Der 4j.Monamakh (GAG 90) gewann auch das letztjährige Russische Derby. Bronze Cannon braucht guten bis festen Boden, auf der tiefen Sandbahn von Moskau war er nicht in seinem Element. Bronze Cannon geht nun wieder zurück nach England zu John Gosden.  

 

 

 

 

 



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